Psalmenkonzert
- Versuch einer Werkseinführung -
Bereits Ende des vergangenen Jahres kam von Herrn Mücksch die Frage, ob ich
nicht Lust hätte, ein Werk für Chor und Orgel zu schreiben, das dann zum nächsten
Kirchenjahresende seine Uraufführung durch Cantiamo erleben würde. Natürlich
ließ ich eine solche Chance nicht ungenutzt.
Es stellte sich nun zunächst die Frage nach der Gesamtanlage des Werks und nach dem ihm
zugrunde liegenden Text. Ich entschied mich schließlich für die Vertonung
verschiedener Psalmen, und zwar dergestalt, daß je ein Psalm einen in sich geschlossenen
Abschnitt innerhalb des Stückes einnimmt. Konkret fiel meine Wahl auf den 39., den 103. und
den 130. Psalm, drei Texte also, die sehr unterschiedliche Grundstimmungen haben und die durch
ihre sprachliche Färbung auch musikalisch eine Steigerung und Entwicklung von einem
Stück zum nächsten ermöglichen und sogar bedingen:
Während der 39. Psalm insgesamt sehr düster gefärbt ist, die Nichtigkeit der
Menschen und des menschlichen Tuns vor Gott beschreibend und gleichzeitig die Hoffnung, nach dem
Tode näher bei Gott zu sein, audrückend, rückt der darauffolgende 130. Psalm von
jener tiefen Verzweiflung ab. Ihm ist ein eher meditativer Duktus innewohnend, eine tiefe Ruhe
und eine große innere Weite, mit welcher dieser Text auch musikalisch das Zentrum und den
Ruhepol des Werkes bildet. Über das Bitten und Flehen hinaus läßt er zum Ende
hin immer stärker einen tiefen Frieden erkennen: "Denn bei dem Herrn ist die Gnade, und
viel Erlösung ist bei ihm, und er wird Israel erlösen aus allen seinen
Sünden."
Mit jubelnden Klängen schließt sich Psalm 103 an, immer wieder den Vers "Lobe den
Herrn, meine Seele" wiederholend, wobei sich die Energie, die in diesem Text liegt, musikalisch
in einem sogenannten Bulgarischen Rhythmus - d.h. einer ungerade zusammengesetzten Taktart - und
polytonaler Harmonik entlädt. Das Werk wird beschlossen durch ein letztmaliges
Wiederaufgreifen des besagten Verses, jedoch leise und verinnerlicht, fast wie ein Nachhall:
"Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, Seinen heiligen Namen."
Insgesamt erwies sich bei der Vertonung der Psalmen deren Komplexität als eine gewisse
Hürde. Auf engem Raum stehen sich Abschnitte mit oft sehr unterschiedlichem, ja
gegensätzlichem Inhalt gegenüber. Aus diesem Grunde habe ich mich dafür
entschieden, die einzelnen Stücke nicht durchzukomponieren, sondern diese selbst nochmals
in kleinere musikalisch-textliche Sinneseinheiten zu untergliedern, so daß auch dem
Hörer die starke Differenziertheit bewußt wird.
Auf diese Weise bestimmt also der Text, was musikalisch abläuft: die Psalmen stehen im
Vordergrund; Rhythmus, Harmonik und Melodie passen sich dem an, was ausgesagt wird und dienen
vor allem der eindringlichen Wiedergabe der Psalmworte, und so möchte ich das Werk
verstanden wissen: als kirchenmusikalische Komposition für das Kirchenjahresende und nicht
als bloßes Konzertstück.
Christian Quinque (28. Okt. 2001) |